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"Exportweltmeister Deutschland" pro/contra


gunargrummt Geschrieben am 19 Februar 2006



Dabei seit
18 Februar 2006
5 Beiträge
Da ich gerade im Rahmen meines BWL Studiums International Economics belege und mich unter anderem mit dem Thema "Exportweltmeisterschaft Deutschlands" auseinandersetze, möchte ich euch gern um eure Meinung bitten. Sicherlich habt ihr auch den Artikel von Carsten auf der Startsetie von cargoforum.de gelesen. Ist diese Nachricht als gut oder schlecht für die gesamte deutsche Volkswirtschaft anzusehen?

Mir scheint so, als würde niemand diese Aussage hinterfragen. Wie aus der Statistik ersichtlich ist, hat Deutschland nicht nur einen erheblichen Handelsbilanzüberschuß sondern zugleich auch einen Leistungsbilanzüberschuß. Dieser wird im großen und ganzen durch Kapitalexporte gedeckt. Ein hoher Kapitalexport deutet aber doch dann gleichzeitig darauf hin, dass Kapital im Ausland produktiver ist als im Inland. Das wiederum ist doch nicht gerade eine positive Nachricht für Deutschland sondern eher ein Zeichen der Warnung.

Ich freue mich auf eure Komentare.

Viele Grüße,
Gunar

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juergen2 Geschrieben am 20 Februar 2006



Dabei seit
20 Oktober 2005
307 Beiträge
Hallo Gunar,

erstmal herzlich willkommen im Forum!

Interessante Frage die du da aufwirfst.
Ein Handelsbilanzüberschuss ist zunächst ja erstmal nur ein Zeichen dafür daß unser Land mehr von etwas hat was auf dem Weltmarkt nachgefragt wird und weniger von dem benötigt was von anderen Waren auf dem Weltmarkt angeboten wird.

Anders ausgedrückt: Ausland kauft mehr von uns als wir vom Ausland kaufen bzw. benötigen.

Soweit vordergründig alles in Butter.

Aber:
Der Handelsüberschuss generiert sich aus dem Wert der ex Deutschland verkauften Waren. Die Frage ist: Wieviel Wertschöpfung aus Deutschland steckt den in der Exportware?
Klassisches Beispiel Auto: Deutschland exportiert die meisten Autos. Ok. Aber wieviel der Komponenten in einem Auto sind den vom Wertschöpfungsfaktor her noch deutsche Teile?
Wir reden ja jetzt nicht vom zollrechtlichen Ursprungscharakter, sondern vom Wert in der Handelsbilanz.

Und da sieht die Sache völlig anders aus...Motoren aus Ungarn, Sitze aus Frankreich, Stoffe aus Südafrika usw usw.
Und dazu passt dann auch die Aussage zur Leistungsbilanz: Die Unternehmen investieren mehr und mehr unser Kapital im Ausland, um dort die tatsächlich wertschöpfende Arbeit (günstiger) ausführen zu lassen.

Was wiederum de facto Arbeitsplätze exportiert...was wiederum weniger weniger private Nachfrage im Binnenland bedeutet da weniger privates Kapital vorhanden ist. Also stürzen sich die Unternehmen noch mehr auf den Export, weil da kann man noch zB Autos verkaufen.

Teufelskreis? Ein wenig schon.

Kehrseite der Medaille: Machen diese Unternehmen dieses Spielchen der günstigeren (Vor-)produktion im Ausland nicht mit, sind sie auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig, dann geht auch die Handelsbilanz den Bach runter...und es fallen noch mehr Arbeitsplätze weg.

Willkommen in der Globalisierung...

Lösungen aus dieser Problematik? Nun, Globalisierung umkehren ist nicht...wir sind seit der Steinzeit dabei uns zu spezialisieren, erst innerhalb der Sippe, dann des Stammes, dann des Volkes und jetzt auf der Welt. No chance würd ich sagen.
Also muss man seine Stärken in dem Spiel ausspielen: Entwicklung, Forschung, Bildung ist angesagt, weil immer weniger Arbeitsplätze für "einfache" Tätigkeiten in Deutschland zu halten sein werden.

Alle Bemühungen um niedrigere Lohnnebenkosten zur Steigerung der Wettebewerbsfähigkeiten sind zwar richtig und nötig, schieben aber das Grundproblem letztendlich nur ein wenig weiter auf, da zu viele Teilnehmer im Ausland auf einem niedrigeren Lohnniveau arbeiten. Selbst wenn wir abgabenfrei produzieren würden wären wir vom Stundenlohn her teurer als diverse Mittwettbewerber auf dem Weltmarkt.
Investition in Bildung, Weiterbildung, Sprachkompetenz, Forschung und Entwicklung, dagegen könnten unseren Kindern auch morgen noch Jobs sichern.

Wie siehst du bzw. ihr das?

Gruss

Juergen 2

michaelm Geschrieben am 20 Februar 2006



Dabei seit
12 Dezember 2005
904 Beiträge
D ist nur Exportweltmeister von Waren. Bei Dienstleistungen + Waren ist die USA noch immer on top. Zudem ist zu beachten, dass in Deutschland in vielen Branchen nur noch endnahe Leistungen in der Produktion erfolgen. Als Beispiel Porsche Leipzig. Die Fhz werden im Ausland produziert, im Inland werden nur noch kleine Baugruppen eingefügt. Der vorhergehende Export des Autos geht in die Exportbilanz, wird aber revidiert durch den nachträglichen Import des KFZ.

Das ist erst einmal nicht zu ändern. Deutschland kann nicht im internationalen Wettbewerb mithalten, was zB Arbeitskosten betrifft. In Osteuropa betragen die Arbeitskosten zT nur 1/6 in Relation zu denen von Deutschland. Resultierend daraus ist die Erfordernis, neben einer Senkdung der Arbeitskosten in Forschung und Innovation zu investieren, damit Deutschland hier Spitze bleibt.

thomcat Geschrieben am 20 Februar 2006



Dabei seit
26 Januar 2005
213 Beiträge
@jürgen2

nur so zur Ergänzung, als Information bzw. Anmerkung zu den genannten Beispielen.

In den Autositzen aus Frankreich befindet sich teilweise Airbags und Heizungsmodule aus Deutschland.
Ebenfalls werden in den Motoren aus Ungarn Kolben, Bleuel und Einspritztechnik aus Deutschland verbaut.

Gruß
Thomcat

gunargrummt Geschrieben am 20 Februar 2006



Dabei seit
18 Februar 2006
5 Beiträge
Wenn man sich mal die Zahlungsbilanz der USA anschaut, kann diese Deutschland gar nicht "schlagen". Die USA importiert netto im Wert von ca. 600 Mrd. USD Waren und exportiert netto im Wert von ca. 55 Mrd. USD. Das bedeutet, das die USA im vollkommenen Gegensatz zu Deutschland ein Leistungsbilanzdefizit aufweisen.
In der Tat kann man das durchaus als Stärke werten, ist es doch ein Zeichen dafür, dass die USA nach Konsumoptimierung zu einem Ergebnis kommen, sich netto zu verschulden. Das ist ein Zeichen dafür, dass es ihr wohl wirtschaftlich besser geht.
Jetzt haben wir die perverse Situation: Deutschland ist mit einem Leistungsbilanzüberschuß "Exportweltmeister" und die USA ist mit einem Defizit "top". Wie soll man das interpretieren? Was ist besser/gut/schlecht? Defizit oder Überschuß?

Allgemein gilt, und da gebe ich euch Recht, dass erhöhte Import-Export-Quoten für eine Offenheit der Volkswirtschaft stehen und damit ein Zeichen der Globalisierung sind. Das sollte man eher als Chance nutzen als sich durch protektionistische Maßnahmen davor zu verstecken. Deutschland ist ein kapitalreiches Land, was man sowohl aus finanzieller als auch humankapitaler Sicht sehen kann.
Langfristig auf einem Produktionsstandort Deutschland zu setzen sehe ich als gefährlich. Kurzfristig kann man sich bedingt durch Imobilität von Kapital in Form von Produktionsanlagen und anderen Barrieren vor einem kompletten Faktorpreisausgleich schützen. Langfristig sollten annahmemäß diese Barrieren wegfallen. Ein Absinken von Löhnen auf osteuropäisches Niveau ist dennoch nicht zu befürchten. Zum einen geht die Tendenz eher zu einem Faktorpreisangleich des Faktors Arbeit. Zum anderen ist dies ganze ein Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und nicht von heute auf morgen anfällt. Über diesen Zeitraum hinweg sollte es das Ziel sein, und auch da stimme ich mit euch überein, Arbeit humankapitalintensiver Nutzung wie F&E, Planung, Innovation oder eben auch humankapitalintensiver Produktion von Luxusgütern oder hochspezialisierten Gütern zuzuführen. Geringqualifizierte Arbeit in der Produktion hat nach dieser Betrachtung in Deutschland also geringe Zukunftsperspektiven.

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